Ottokar von Kraft                  Widmung

                                                               Dem Naturgeschichtsprofessor Nowak in

                                                               „Das goldene Buch der Weltliteratur“.

 

Du hast im goldnen Buche der Natur

Gelesen oft mit Fleiß und heißem Trachten;

Mit Recht: denn ihr Gesetz zu höchst nicht achten,

Hieß’ arg verfehlen der Erkenntnis Spur.

 

Und doch ist Gott nicht Außenschöpfung nur!

der Menschheit tausendjähr’ge Geistesschlachten,

ihr Denken, Hoffen, Ringen, Wünschen, Trachten

Sind göttlich auch, sind gleicherweis Natur.

 

Drum, willst du ganz der Schöpfung Bild gewinnen,

Mußt von des Äußern Forschung und Erfahrung

Du auch des Innern Stimmen dich besinnen.

 

Im goldnen Buch des Schrifttums mußt du blättern,

Dann wird dir zwiefach Gottes Offenbarung:

In Zügen der Natur, in Menschenlettern.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Philosophische Stationen

 

Als ich ein kleines Kind noch war an Jahren,

Da hab’ ich oft die Hände fromm gefaltet,

Zum Schöpfer betend, den ich selbst gestaltet,

Vor allen Übeln gnädig mich zu wahren.

 

Doch tiefer sinnend, hab’ ich bald erfahren,

daß keine Gottheit außerweltlich schaltet,

Daß blind gigantisch Unbewußtes waltet,

Und trotzig wurde künftig mein Gebahren.

 

Doch auch der letzte Wahn ist nun zerstoben,

Der klügste noch von all dem hohen Spotte,

Den je die Weisen über Gottheit lallten:

 

Zum Unnahbaren hab’ ich mich erhoben –

Und wieder muß ich fromm die Hände falten,

Ein neues Kind vor einem neuen Gotte.

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Die Philosophen

 

Einst hatt’ ich Spott nur für die Weisen, Denker,

Die stets das Weltall uns aufs neu’ gebären,

den eignen Balg den echten stets erklären,

Sich wechselseits und all’ der Wahrheit Henker.

 

Ich wußt’ ja längst, daß all die Weltversenker

Uns nimmermehr die letzte Weisheit lehren;

Doch nicht, wie tiefen Einblick sie gewähren

Ins Menschen-Ich, als dessen Deuter, Schenker.

 

Heut’ weiß ich: hebt auch keiner je den Riegel

Der Wahrheit, sind sie all’ doch ihres Lichtes

Weit mehr, denn andre Menschen, treue Spiegel.

 

Drum wieder ehr’ ich heut’ die Philosophen,

Zwar nicht als Deuter alles Weltgedichtes,

Doch seiner größten uns bekannten Strophen.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Zug nach oben

 

Ich sage nicht, daß, kehrt der Leib zum Staube,

Die Seel’ im Jenseits ohne Körper lebt;

Ich sage nicht, daß sie dem All verschwebt,

Wie Regentropfen, die dem Meer zum Raube;

 

Ich sage nicht, daß gleich der heil’gen Taube,

Zu des Dreiein’gen Thron sie sich erhebt;

Ich sage einzig, daß sie aufwärts strebt,

Und dies Bewußtsein ist mein schönster Glaube.

 

Ich weiß nur, daß die hehrsten Hochgedanken

Uns siegreich heben über Erdenschranken,

Doch wo ihr Ziel, hat keiner noch erhoben.

 

Denn unsres Grübelns selbstgeschaff’ne Dreiheit,

Der Gott, das jenseits und die Willensfreiheit,

Sind eins wie’s andre nur ein Zug nach oben.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Athanismus

 

Bleib mir vom Hals, wer mir vom Tode spricht

Als tiefstem Schlaf, drin alle Wünsche rasten;

Wär’ dies das Ziel, um das mit tausend Masten

Der Mensch hinauszog in das Weltgedicht?

 

Wie? rang und strebt’ und dürstet’ ich nach Licht

Mein Leben lang, um ewig dann zu fasten?

Nein, nimmer tausch’ ich Ringen, Forschen, Hasten

Gen solchen Frieden, selbst im Grabe nicht.

 

Und nimmer sollt ihr, bin ich einst geschieden,

Mir solche Inschrift auf den Grabstein setzen

Wie: „Ruh’ der Asche!“ oder: „Schlaf in Frieden!“

 

Das würde mich im wund’sten Punkt verletzen:

Dem Glauben, wie ich rang und strebt’ hienieden,

In einem höhern Sein mich fortzusetzen.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Was mich am Sterben schreckt

 

Erört’r ich, daß, wenn einst mein Dasein endet,

Ich liege reglos, starr und ohne Leben,

Erloschen scheinbar jedes Trachten, Streben,

Fort jede Gabe, die den Menschen blendet;

 

Und denk’ ich, wie sich dann zur Bahre wendet

Der Leute Schar, ihr Mitleid mir zu geben,

Wie sie, mich schauend, weinen, seufzen, beben,

Wie man mir Ach und weiche Tränen spendet:

 

Dann faßt mich Schütteln vor der Todesstunde,

Denn daß mein Anblick andern Gram und Schauer,

Trifft tiefer mich als Schmerz und Sterbenswunde.

 

So weit nur sich mein’ Angst vorm Tod erstrecket,

Als Mitleid er um mich erzeugt und Trauer;

Am Sterben Schlimm’res nichts mich sonst erschrecket.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Bettleridol

 

Nichts widerstrebt mir stärker, denn die Meinung,

Es wär’ ein Glück, ein Trost, daß, wenn wir sterben,

Wiir vollsten Ruhstand nach dem Kampf erwerben,

Und wie des Leids, auch jeder Lust Verneinung.

 

Es bleibt doch stets des Glücksgefühls Verkleinung,

Wenn mit dem Schmerz die Freuden auch verderben,

Wenn hehrste Stunden mit des Lebens herben

verschlingt ein Zustand fühlloser Versteinung.

 

Heiß’ immer der Gequälte dies das Beste,

Der, grambeladen, längst, was Glück, vergessen,

Der Stumpfe auch, der wahres nie besessen;

 

Wer euch durchschwelgt, ihr Geist- und Herzensfeste,

Wenn je Begeist’rung rot die Wangen färbte:

Dem ist’s ein Glück für Bettler und Enterbte.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Frage

 

Herrscht blinder mächte unbewußtes Walten?

Steht überm Schicksal freier Tat Entschluß?

Sind wir das Werk von unbedingtem Muß?

Ist die Natur das Werk, und wir, die schalten?

 

Liegt Wahrheit in der Körperwelt enthalten?

Birgt höchst’ Erkenntnis Geistes Selbstgenuß?

Knackt Wirklichkeit des letzten Rätsels Nuß?

Sind Tugend, Kunst – statt Täuschung: Neugestalten?

 

Sind wir des Weltplans Scheiben nur und Spiegel?

Sind Teile wir des Weltbaus, Stein’ und Ziegel?

Trägt er das unsre, wir das seine Siegel?

 

Wer reißt den Vorhang von der Sphinx, der grauen:

Ob wir zuletzt das Drama Welt nur schauen,

Ob insgesamt wir’s selber helfen bauen?

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Gefärbte Glasscherben

 

Gefärbte Scherben fand ich jüngst am Wege;

Ich las sie auf, durch sie die Welt zu sehen.

Jetzt schien sie mir im Purpurlicht zu stehen,

Jetzt düster schwarz, als ob sie Trauer hege.

 

Jetzt sah ich sie verzerrt, jetzt grad, jetzt schräge,

Jetzt bei dem kleinsten Fingergriff sich drehen,

Jetzt scharf umgrenzt, jetzt ineinandergehen

Die Ränder der Gebirge, Wässer, Stege.

 

Ich nahm so glas für Glas und dacht im stillen:

So mannigfalt ist Menschengeist umnachtet

Beim Schaun der welt und nie der wahren sichtig.

 

Wir insgesamt, wir sind nur farb’ge Brillen,

Durch die Natur sich tausendfach betrachtet,

Durch jede falsch .... wer weiß: ohn’ alle richtig?

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Vorrang des Glaubens

 

Einst sucht’ ich einen Vorwand für den Glauben,

Und, ideal zu denken, wollt’ ich Gründe;

Daß ich den Glauben heg’ und ihn verkünde,

Könnt’ erst, so dacht’ ich, Wissen mir erlauben.

 

Heut’ heb’ ich nicht bei Hebeln an und Schrauben,

Auf daß im Glauben dann mein Denken münde;

Nicht forsch’ ich mehr, daß mich der Wein entzünde,

Den Wurzeln nach, ich pflücke gleich die Trauben.

 

Ich sag’ mir heute: Glaube, Gottvertrauen

An Andern, macht mich steigern, mich erbauen:

Drum ist’s die schönste Art, die Welt zu schauen!

 

Und ist sie das, dann sei sie mir verbündet!

Was gilt’s, wenn sich mein Herz daran entzündet,

Warum, wann, wie, und ob sie wo begründet?

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Der feste Standpunkt

 

Ach, welchem Meister ist zuletzt zu trauen?

Der uns beweist, das Leben sei zu hassen?

Der’s lehrt epikuräisch zu verprassen?

Dem Lust das Dasein, oder dem’s ein Grauen?

 

Der Tempel fällen rät, der Tempel bauen?

Der den Propheten folgen, der den Massen?

Der allem trotzen, der sich anzupassen?

Der blonder Häupter Tun, der Sinn der grauen?

 

Mir sagt mein guter Geist: Laßt uns gelassen

In diesen Hexenkessel niederschauen

Und alles Leben biologisch fassen:

 

Was lebt und leben läßt, ist das Gesunde,

So spricht Natur, ihr laßt uns still vertrauen,

was feindlich ihr, ist krank und geh’ zugrunde.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Das letzte Wissen

 

Vom Ew’gen hebt kein Weiser je den Riegel,

Mit allen Hebeln, Thesen, Antithesen;

O möchte jeder von dem Wahn genesen,

Daß sein System der Weltbau – statt ein Ziegel.

 

Wer wähnt, er zeig’ der Wahrheit letzten Spiegel,

Der irrt, denn was er zeigt, ist er, sein Wesen;

Wer schreibt ein Buch, daß wir das Sein drin läsen,

Der irrt, wir lesen bloß sein eignes Siegel.

 

Zuletzt ist jedes Weltbild Dichtung, Fama,

Die Wahrheit und sich wechselseits verhöhnend,

Wahr nur das große ird’sche Menschendrama;

 

Und unser letztes Wissen bleibt im Grunde,

Allein dies Mehr von Widerspruch versöhnend,

das Wissen von uns selbst, die Menschenkunde.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Vorrang des Lebens

 

Als Jüngling schätzt’ ich wenig nur das Leben,

Ideen nur baut’ ich, diese mußten’s halten,

Vom Geist aus wähnt’ ich alles zu gestalten,

Wähnt’ ich erst Sein dem Nächsten selbst zu geben.

 

Heut’ weiß ich, Welt ist mehr, denn Weltenweben,

Und wahr allein der Wirklichkeiten walten,

Mehr, als von Sein und Schein der Haare Spalten,

Lehrt mich der Menschen Fürchten, Hoffen, Streben.

 

Und wie ich einst im Weisen, Philosophen,

das höchste Urbild sah des Menschentumes

Und ihm zunächst der Nachwelt Pforte offen:

 

So in Dramatikers erhabner Sendung

Seh’ heut’ ich aller Menschlichkeit Vollendung

Und ihn voran zum Tempel gehn des Ruhmes.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Meine Bibel

 

mein Gott – ist jenes völlig Unahnbare,

Das über allem Sein und Denken schwebt.

Mein Glaube – die Natur, die mich umwebt,

Das Leben rings, das bunte, warme, klare.

 

Mein Heiligstes – das Schöne, Gute, Wahre,

Wodurch mein Wesen zur Vollendung strebt.

Mein Gottesdienst – was mich entzückt, erhebt,

Was denkend, fühlend, opfernd ich erfahre.

 

Mein Evangelium – die Lust, die Freude,

In Tugend, Kunst und Wissen offenbar.

mein Priestertum – das Kind im Unschuldskleide,

 

Der Künstler, Denker auserlesne schar.

Mein Gottestempel – hoher Kunst Gebäude,

Und Menschenschönheit drin – mein Hochaltar.