Dem
Naturgeschichtsprofessor Nowak in
„Das
goldene Buch der Weltliteratur“.
Du hast im goldnen Buche der
Natur
Gelesen oft mit Fleiß und
heißem Trachten;
Mit Recht: denn ihr Gesetz zu
höchst nicht achten,
Hieß’ arg verfehlen der
Erkenntnis Spur.
Und doch ist Gott nicht
Außenschöpfung nur!
der Menschheit tausendjähr’ge
Geistesschlachten,
ihr Denken, Hoffen, Ringen,
Wünschen, Trachten
Sind göttlich auch, sind
gleicherweis Natur.
Drum, willst du ganz der
Schöpfung Bild gewinnen,
Mußt von des Äußern Forschung
und Erfahrung
Du auch des Innern Stimmen
dich besinnen.
Im goldnen Buch des
Schrifttums mußt du blättern,
Dann wird dir zwiefach Gottes
Offenbarung:
In Zügen der Natur, in
Menschenlettern.
Als ich ein kleines Kind noch
war an Jahren,
Da hab’ ich oft die Hände
fromm gefaltet,
Zum Schöpfer betend, den ich
selbst gestaltet,
Vor allen Übeln gnädig mich zu
wahren.
Doch tiefer sinnend, hab’ ich
bald erfahren,
daß keine Gottheit
außerweltlich schaltet,
Daß blind gigantisch
Unbewußtes waltet,
Und trotzig wurde künftig mein
Gebahren.
Doch auch der letzte Wahn ist
nun zerstoben,
Der klügste noch von all dem
hohen Spotte,
Den je die Weisen über
Gottheit lallten:
Zum Unnahbaren hab’ ich mich
erhoben –
Und wieder muß ich fromm die
Hände falten,
Ein neues Kind vor einem neuen
Gotte.
Einst hatt’ ich Spott nur für die
Weisen, Denker,
Die stets das Weltall uns aufs
neu’ gebären,
den eignen Balg den echten
stets erklären,
Sich wechselseits und all’ der
Wahrheit Henker.
Ich wußt’ ja längst, daß all
die Weltversenker
Uns nimmermehr die letzte
Weisheit lehren;
Doch nicht, wie tiefen
Einblick sie gewähren
Ins Menschen-Ich, als dessen
Deuter, Schenker.
Heut’ weiß ich: hebt auch
keiner je den Riegel
Der Wahrheit, sind sie all’
doch ihres Lichtes
Weit mehr, denn andre
Menschen, treue Spiegel.
Drum wieder ehr’ ich heut’ die
Philosophen,
Zwar nicht als Deuter alles
Weltgedichtes,
Doch seiner größten uns
bekannten Strophen.
Ich sage nicht, daß, kehrt der
Leib zum Staube,
Die Seel’ im Jenseits ohne
Körper lebt;
Ich sage nicht, daß sie dem
All verschwebt,
Wie Regentropfen, die dem Meer
zum Raube;
Ich sage nicht, daß gleich der
heil’gen Taube,
Zu des Dreiein’gen Thron sie
sich erhebt;
Ich sage einzig, daß sie
aufwärts strebt,
Und dies Bewußtsein ist mein
schönster Glaube.
Ich weiß nur, daß die hehrsten
Hochgedanken
Uns siegreich heben über
Erdenschranken,
Doch wo ihr Ziel, hat keiner
noch erhoben.
Denn unsres Grübelns
selbstgeschaff’ne Dreiheit,
Der Gott, das jenseits und die
Willensfreiheit,
Sind eins wie’s andre nur ein
Zug nach oben.
Bleib mir vom Hals, wer mir
vom Tode spricht
Als tiefstem Schlaf, drin alle
Wünsche rasten;
Wär’ dies das Ziel, um das mit
tausend Masten
Der Mensch hinauszog in das
Weltgedicht?
Wie? rang und strebt’ und
dürstet’ ich nach Licht
Mein Leben lang, um ewig dann
zu fasten?
Nein, nimmer tausch’ ich
Ringen, Forschen, Hasten
Gen solchen Frieden, selbst im
Grabe nicht.
Und nimmer sollt ihr, bin ich
einst geschieden,
Mir solche Inschrift auf den
Grabstein setzen
Wie: „Ruh’ der Asche!“ oder: „Schlaf
in Frieden!“
Das würde mich im wund’sten
Punkt verletzen:
Dem Glauben, wie ich rang und
strebt’ hienieden,
In einem höhern Sein mich
fortzusetzen.
Erört’r ich, daß, wenn einst
mein Dasein endet,
Ich liege reglos, starr und
ohne Leben,
Erloschen scheinbar jedes
Trachten, Streben,
Fort jede Gabe, die den
Menschen blendet;
Und denk’ ich, wie sich dann
zur Bahre wendet
Der Leute Schar, ihr Mitleid
mir zu geben,
Wie sie, mich schauend,
weinen, seufzen, beben,
Wie man mir Ach und weiche
Tränen spendet:
Dann faßt mich Schütteln vor
der Todesstunde,
Denn daß mein Anblick andern
Gram und Schauer,
Trifft tiefer mich als Schmerz
und Sterbenswunde.
So weit nur sich mein’ Angst
vorm Tod erstrecket,
Als Mitleid er um mich erzeugt
und Trauer;
Am Sterben Schlimm’res nichts
mich sonst erschrecket.
Nichts widerstrebt mir
stärker, denn die Meinung,
Es wär’ ein Glück, ein Trost,
daß, wenn wir sterben,
Wiir vollsten Ruhstand nach
dem Kampf erwerben,
Und wie des Leids, auch jeder
Lust Verneinung.
Es bleibt doch stets des
Glücksgefühls Verkleinung,
Wenn mit dem Schmerz die
Freuden auch verderben,
Wenn hehrste Stunden mit des
Lebens herben
verschlingt ein Zustand
fühlloser Versteinung.
Heiß’ immer der Gequälte dies
das Beste,
Der, grambeladen, längst, was
Glück, vergessen,
Der Stumpfe auch, der wahres
nie besessen;
Wer euch durchschwelgt, ihr
Geist- und Herzensfeste,
Wenn je Begeist’rung rot die
Wangen färbte:
Dem ist’s ein Glück für
Bettler und Enterbte.
Herrscht blinder mächte
unbewußtes Walten?
Steht überm Schicksal freier
Tat Entschluß?
Sind wir das Werk von
unbedingtem Muß?
Ist die Natur das Werk, und
wir, die schalten?
Liegt Wahrheit in der
Körperwelt enthalten?
Birgt höchst’ Erkenntnis
Geistes Selbstgenuß?
Knackt Wirklichkeit des
letzten Rätsels Nuß?
Sind Tugend, Kunst – statt Täuschung:
Neugestalten?
Sind wir des Weltplans
Scheiben nur und Spiegel?
Sind Teile wir des Weltbaus,
Stein’ und Ziegel?
Trägt er das unsre, wir das
seine Siegel?
Wer reißt den Vorhang von der
Sphinx, der grauen:
Ob wir zuletzt das Drama Welt
nur schauen,
Ob insgesamt wir’s selber
helfen bauen?
Gefärbte Scherben fand ich
jüngst am Wege;
Ich las sie auf, durch sie die
Welt zu sehen.
Jetzt schien sie mir im
Purpurlicht zu stehen,
Jetzt düster schwarz, als ob
sie Trauer hege.
Jetzt sah ich sie verzerrt,
jetzt grad, jetzt schräge,
Jetzt bei dem kleinsten
Fingergriff sich drehen,
Jetzt scharf umgrenzt, jetzt
ineinandergehen
Die Ränder der Gebirge,
Wässer, Stege.
Ich nahm so glas für Glas und
dacht im stillen:
So mannigfalt ist
Menschengeist umnachtet
Beim Schaun der welt und nie
der wahren sichtig.
Wir insgesamt, wir sind nur
farb’ge Brillen,
Durch die Natur sich
tausendfach betrachtet,
Durch jede falsch .... wer
weiß: ohn’ alle richtig?
Einst sucht’ ich einen Vorwand
für den Glauben,
Und, ideal zu denken, wollt’
ich Gründe;
Daß ich den Glauben heg’ und
ihn verkünde,
Könnt’ erst, so dacht’ ich,
Wissen mir erlauben.
Heut’ heb’ ich nicht bei
Hebeln an und Schrauben,
Auf daß im Glauben dann mein
Denken münde;
Nicht forsch’ ich mehr, daß
mich der Wein entzünde,
Den Wurzeln nach, ich pflücke
gleich die Trauben.
Ich sag’ mir heute: Glaube,
Gottvertrauen
An Andern, macht mich
steigern, mich erbauen:
Drum ist’s die schönste Art,
die Welt zu schauen!
Und ist sie das, dann sei sie
mir verbündet!
Was gilt’s, wenn sich mein
Herz daran entzündet,
Warum, wann, wie, und ob sie
wo begründet?
Ach, welchem Meister ist
zuletzt zu trauen?
Der uns beweist, das Leben sei
zu hassen?
Der’s lehrt epikuräisch zu
verprassen?
Dem Lust das Dasein, oder dem’s
ein Grauen?
Der Tempel fällen rät, der
Tempel bauen?
Der den Propheten folgen, der
den Massen?
Der allem trotzen, der sich
anzupassen?
Der blonder Häupter Tun, der
Sinn der grauen?
Mir sagt mein guter Geist:
Laßt uns gelassen
In diesen Hexenkessel
niederschauen
Und alles Leben biologisch
fassen:
Was lebt und leben läßt, ist
das Gesunde,
So spricht Natur, ihr laßt uns
still vertrauen,
was feindlich ihr, ist krank
und geh’ zugrunde.
Vom Ew’gen hebt kein Weiser je
den Riegel,
Mit allen Hebeln, Thesen,
Antithesen;
O möchte jeder von dem Wahn
genesen,
Daß sein System der Weltbau –
statt ein Ziegel.
Wer wähnt, er zeig’ der
Wahrheit letzten Spiegel,
Der irrt, denn was er zeigt,
ist er, sein Wesen;
Wer schreibt ein Buch, daß wir
das Sein drin läsen,
Der irrt, wir lesen bloß sein
eignes Siegel.
Zuletzt ist jedes Weltbild
Dichtung, Fama,
Die Wahrheit und sich
wechselseits verhöhnend,
Wahr nur das große ird’sche
Menschendrama;
Und unser letztes Wissen
bleibt im Grunde,
Allein dies Mehr von
Widerspruch versöhnend,
das Wissen von uns selbst, die
Menschenkunde.
Als Jüngling schätzt’ ich
wenig nur das Leben,
Ideen nur baut’ ich, diese
mußten’s halten,
Vom Geist aus wähnt’ ich alles
zu gestalten,
Wähnt’ ich erst Sein dem
Nächsten selbst zu geben.
Heut’ weiß ich, Welt ist mehr,
denn Weltenweben,
Und wahr allein der
Wirklichkeiten walten,
Mehr, als von Sein und Schein
der Haare Spalten,
Lehrt mich der Menschen
Fürchten, Hoffen, Streben.
Und wie ich einst im Weisen,
Philosophen,
das höchste Urbild sah des
Menschentumes
Und ihm zunächst der Nachwelt
Pforte offen:
So in Dramatikers erhabner
Sendung
Seh’ heut’ ich aller
Menschlichkeit Vollendung
Und ihn voran zum Tempel gehn
des Ruhmes.
mein Gott – ist jenes völlig
Unahnbare,
Das über allem Sein und Denken
schwebt.
Mein Glaube – die Natur, die
mich umwebt,
Das Leben rings, das bunte,
warme, klare.
Mein Heiligstes – das Schöne,
Gute, Wahre,
Wodurch mein Wesen zur
Vollendung strebt.
Mein Gottesdienst – was mich
entzückt, erhebt,
Was denkend, fühlend, opfernd
ich erfahre.
Mein Evangelium – die Lust,
die Freude,
In Tugend, Kunst und Wissen
offenbar.
mein Priestertum – das Kind im
Unschuldskleide,
Der Künstler, Denker
auserlesne schar.
Mein Gottestempel – hoher Kunst
Gebäude,
Und Menschenschönheit drin –
mein Hochaltar.